Warum heisst der heutige Tag im christlichen Festkalender Gründonnerstag? Eine Deutung besagt, dass sich der Name aus dem mittelhochdeutschen «grînen» (lachend oder weinend den Mund verziehen) entwickelt hat. Zum Weinen gab es an diesem Tag vor 2000 Jahren Grund genug.
Ein Grund zum Weinen
Jesus feierte mit seinen Jüngern an diesem Abend das Passamahl in Jerusalem. Nur Stunden später sollte er von den römischen Soldaten verhaftet werden, am Tag darauf eines qualvollen Todes sterben. Kein Wunder, dass er verzweifelt war, dass er «zitterte und zagte» (Markus 14, 33) und Gott anflehte, ihm dieses Schicksal zu ersparen. Ob Jesus weinte? Es ist nicht überliefert, aber durchaus vorstellbar angesichts berechtigter Todesangst.
Tatsächlich weinte Petrus (Mk 15, 72). Dreimal verleugnete er Jesus. Aus Angst um sein eigenes Leben verriet er das, was ihm vielleicht am wichtigsten war: seine Zugehörigkeit zu Jesus. Und als der Hahn zum zweiten Mal krähte, erinnerte sich Petrus an Jesu Wort und weinte bitterlich, aus Scham und Verzweiflung über sich selbst.
Noch einer war verzweifelt an diesem Abend: Judas Iskariot. Er hatte Jesus für 30 Silberlinge an die römischen Soldaten verraten. Warum Judas das getan hatte, wissen wir nicht. Geldgier scheidet als Motiv aus: Als Judas sah, dass sein Verrat die Verurteilung Jesu nach sich zog, war er so verzweifelt, dass er sich erhängte.
Andere hätten in dieser Situation vielleicht geweint. Judas erschien die Situation so verfahren, dass er keinen anderen Ausweg sah. Jesus kannte seine Jünger. Er wusste, dass Petrus ihn verleugnen und Judas ihn verraten würde. Trotzdem feierte er mit ihnen das Passamahl. Jesus schenkte sich allen seinen Jüngern in Brot und Wein, unabhängig von deren Verhalten. Man muss nicht ohne Fehler sein, um Gemeinschaft mit Gott zu haben. Das war damals wichtig, das ist es heute: Gott lädt alle ein, ohne Einschränkung, niemand bleibt aussen vor.
Für Euch gegeben
Noch etwas wird deutlich: Jesu Antwort auf seine Verzweiflung ist Hingabe. Er schenkt sich den Seinen in Brot und Wein, geht den Weg der Gerechtigkeit mit aller Konsequenz. Den Weg gingen seit Jesus viele Menschen: Menschen wie Sophie Scholl, deren Geburtstag sich am 9. Mai 2021 zum 100. Mal jährt, verhielten sich wie Jesus.
Aus Liebe zu den Menschen den Weg der Gerechtigkeit gehen, das ist Hingabe, damals und heute. An Gründonnerstag wird Gottes Liebe offenbar: Es ist eine Liebe jenseits von rosa Kitsch und Romantik, eine rohe Liebe – verletzlich und unbesiegbar zugleich. «Solches tut zu meinem Gedächtnis»: Jesu Worte sind Einladung, sich dieser Liebe Gottes immer wieder neu im Abendmahl zu vergewissern.
Sabine Gritzner-Stoffers (Pfarrerin in Au-Heerbrugg)
Veröffentlicht am 01.04.2021 im Rheintaler