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Mütterlichkeit ist ein Lebensfaden

(Quelle: www.pixabay.com)

«Ich hab die Faser nicht gesponnen, die Stoffe nicht gewebt, die ich am Leibe trage …»

So hat es der evangelische Pfarrer und Liedermacher Fritz Baltruweit (geb. 1955) in einem seiner Lieder ausgedrückt. Nichts von dem, was ich tue, was ich bin, ist denkbar ohne das, was andere vor mir getan haben. Vieles von dem, was ich heute bin, verdanke ich denen, die vor mir waren. Vieles verdanken wir unseren Müttern: Sie haben uns geboren, auch heute noch obliegt die Aufgabe der Kinderbetreuung und -versorgung zu einem grossen Teil den Müttern. Dafür darf man «Danke» sagen, am Muttertag und andernorts. Wenn wir von «mütterlichem Verhalten» sprechen, meinen wir meist versorgen, nähren, sich zuwenden, da sein, kümmern im guten Sinn. Wir merken schon: Solches vermögen auch Frauen, die nicht unsere Mütter sind, ebenso wie Väter, Verwandte und Freunde. Und so ist der Muttertag auch ein Tag, an dem wir uns bedanken können bei all den Menschen, die uns mütterlich begegnet sind: in unseren Kindertagen und vielleicht auch dann noch, wenn wir schon längst erwachsen geworden sind.

«Ich hab die Faser nicht gesponnen …»: Wir werden in ein Gewebe hineingeboren, das schon vor uns da gewesen ist. In ein Gewebe aus zärtlichen Momenten, Leidenschaft, Empfängnis und Geburtsschmerz, auch aus Fehlern, Gewalt und Verrat. All das beeinflusst, wie wir unseren Lebensfaden ansetzen. Zugleich schaffen wir immer wieder Neues. Etwas, das vorher nicht da war. Ich muss nicht das immer gleiche Muster wiederholen. Unser Gott ist ein Gott der neuen Anfänge. Ich bringe meinen Faden ein. Und das Muster wird ein anderes, wird neu. So ha-ben wir Anteil an der Schöpfung als Mitschöpferinnen und Mitschöpfer des Gottes, der aus dem Mund des Propheten Jesaja spricht: «Siehe, ich mache Neues, jetzt spriesst es auf, erkennt ihr es nicht?» (Jesaja 43, 18f)

Und so ist Mütterlichkeit ein Ausdruck dessen, wie Gott ist. Wie ein Kind vor der Geburt umgeben ist von seiner Mutter, ohne sich ein Bild von ihr machen zu können, so ist Gott uns nahe. Denn in ihm «leben, weben und sind wir», schreibt der Apostel Paulus (Apostelgeschichte 17, 28). Es tut gut zu wissen und zu spüren: Wir sind miteinander verbunden im grossen Gewebe des Lebens. In das Gewebe sticken wir unseren Faden hinein, im Vertrauen auf Gott, der alle Fäden in seinen Händen hält.

(Pfrin. Sabine Gritzner-Stoffers)

Veröffentlicht am 7.5.2022 im "Rheintaler" (Mütterlichkeit ist ein Lebensfaden - rheintaler.ch)