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Auf dem Weg ins Paradies

Das Paradies schimmert durch die Ritzen der Türen. (Foto: ms)

Stell dir vor, du bist endlich angekommen im Paradies, alt und lebenssatt, mit deinem Koffer nach der langen Lebensreise. Und wie im schlimmsten Albtraum stehst du vor einer Wand von ähnlich aussehenden Türen und bekommst einen Schlüsselbund in die Hand gedrückt.

Wie viele Versuche hast du, eine Tür aufzusperren? Wird überhaupt ein Schlüssel passen? Du schaust durchs Guckloch und Erin­nerungen an dein Leben kommen hervor. Überhaupt, sieht es drinnen nicht so ähnlich aus wie dort, von wo du gekommen bist?

Wer dieser Tage durch Berneck läuft, stösst an allen Ecken und Enden auf  kleine Paradiese. Wer hier zu Hause ist, weiss schon lange, dass das Paradies hier und dort durch die Ritzen schimmert. Doch die gestalteten Gärten im Rahmen des Projektes des Kulturforums laden momentan besonders zur Beschäftigung mit dem Thema ein. Mir gefällt die Offenheit, die Vielfalt und der Austausch im öffentlichen Raum, die dadurch zustande kommen. Ich wünsche mir das auch für die Ausei­nandersetzung mit den biblischen Erzählungen, aus denen viele Motive vom Sehnsuchts­-ort Paradies stammen. Dabei spricht die Bibel ursprünglich vom Garten Eden, in dem vom hebräischen Wortstamm her Wonne, Wohlgefühl und Üppigkeit zu Hause sind. Das erlebe ich auch in den Bernecker Gärten, die von Farben, Formen und Kreativität nur so überfliessen. Die Menschen machen sich zu ihnen auf den Weg. Das Paradies ist nicht im Stillstand zu haben, es ist eine Tätigkeit. Es findet statt, wie der Titel des Projektes lautet. Es lockt und lädt ein, die Skeptiker und die, die meinen, einen Platz darin fest gebucht zu haben, die Philosophinnen und die, die sich ausschliesslich im Diesseits orientieren. So sehen unsere jeweiligen Paradiese unterschiedlich aus. Vielleicht können sie ja friedlich nebeneinander koexistieren. Sie stellen uns Fragen: Wo ist drinnen und draussen, und wer will und kommt hinein? Wem oder was will ich begegnen und oder auch nicht? Was gehört für mich dazu: Musik und Tanz, Essen und Trinken, Pflanzen und Tiere?

Wir brauchen die Geschichten vom guten Anfang. Sie wissen darum, dass es mehr gibt, genau zwischen Himmel und Erde. Von kaltem Realismus können wir nicht leben, sondern aus der Hoffnung, dass wir mit einem harmonischen Garten verbunden sind und unser Ursprung nicht auf dem Marktplatz oder einem Kriegsschauplatz liegt. 

Und immer da, wo Menschen Verantwortung übernehmen für ihr kleines Stück Paradies, da blüht das Leben auf, weil wir unserem Auftrag von Gott nachkommen, zu bebauen und zu bewahren. Den Weltgarten zu behüten und zu beschützen und alles, was für uns so wertvoll ist wie das Paradies. 

(Pfrin. Manuela Schäfer)
Veröffentlicht im "Rheintaler" vom 28.05.2022